Mensch Hielal23

sonntagszeitung.ch | 27. August 2017

Mannar Hielal ergreift ihre «silberne Chance» Die Syrerin nimmt an einem IT-Programmierlehrgang für Flüchtlinge teil – und hofft auf eine Lehrstelle Am 30. Dezember 2015 – rund sechs Monate später – liefert ein Taxi Mannar Hielal in Lausanne ab: Sie fragt sich auf Englisch nach dem Asylzentrum durch. Es folgen Interviews, Gesundheitschecks, der Transfer nach Solothurn, der erste Deutschkurs und schliesslich der Umzug in eine Wohngemeinschaft in Niedergösgen. Da erzählt ihr eine Kollegin das erste Mal von den «Powercoders» – einem Programmierlehrgang für Flüchtlinge. «Die Aufnahmeprüfung war nicht schwierig: Nur ein bisschen HTML-Codes schreiben», sagt Hielal. Doch als die Verwandten in Aleppo von der geglückten Aufnahme ins Programm hören, sind nicht alle begeistert: «Meine Tante meinte, ich solle mir doch lieber endlich einen Mann suchen, anstatt nochmals eine Ausbildung zu machen», sagt Hielal.

Sarah Fluck (Text) und Marco Zanoni (Foto)

Mannar Hielal, 34, weiss noch, wie ihr Bruder vor ihrem Vater herumtänzelte, als dieser vor siebzehn Jahren den ersten Computer nach Hause brachte: «Ich kann mich nicht mehr genau an das Modell erinnern, doch es war einer dieser Riesenrechner mit schwerem CRTMonitor», sagt die Syrerin in sehr gutem Deutsch. Von da an spielte sie mit ihren beiden Geschwistern nächtelang die Videospiele «Duke Nukem» und «Doom». «Ziel war es, besser zu sein als unsere Nachbarjungs, gegen die wir regelmässig im ‹Computer-Café› um die Ecke spielten.» – Ihr Interesse an der Informatik wurzle wohl darin, sagt Hielal. Die Verwandten wollen, dass sie heiratet statt programmiert

Der Blick der jungen Frau ist durchdringend, wach. Eine feine Blümchenbluse unterstreicht ihre grazile Haltung. Die signalrote Sportuhr bricht dieses Bild – sie liebe technische Gadgets, sagt sie. Nach der obligatorischen Schulzeit beginnt die junge Frau ihr Studium am Technischen Institut für Informatik in Aleppo und erlangt dort zwei Jahre später das Informatik-Diplom. Zwar gibt es deutlich weniger Frauen als Männer im Studium, doch unterstützen die Studenten die Frauen jeweilen besonders, erklärt Hielal lachend: «Den Ladys bei den Physik-Aufgaben zu helfen, war die optimale Chance, um zu flirten.» Der Einstieg ins Berufsleben ist herausfordernd. Bei einer internationalen Firma ist Mannar Hielal für die technische Einführung deren Kundendatei zuständig. Sie muss acht Stunden am Tag Englisch sprechen: «Hie und da lag ich deshalb am Abend mit Kopfschmerzen im Bett», sagt Hielal. Als der arabische Frühling zehn Jahre später in den Gassen Aleppos ausbricht, arbeitet Hielal im IT-Departement des staatlichen Amts für Gesundheit. Zusammen mit Freunden beschliesst sie, sich gemeinsam um verletzte Demonstranten zu kümmern. «Doch musste ich schnell einsehen, dass die Regierung auch jene als Verräter sah, die den Schwerverletzten bloss helfen wollten», sagt Hielal. Zuerst verschwinden zwei Helfer der Gruppe spurlos, dann wird ihre Kollegin gefangen genommen. Als

Morgens Deutschkurs, mittags arbeiten in der Berner Altstadt

Informatikerin Mannar Hielal: «Die Prüfung war nicht schwierig: Nur ein bisschen HTML-Codes schreiben»

die Polizei kurz darauf bei ihrer Mutter – eine Professorin für arabische Literatur – vor der Tür steht, weiss Hielal: Sie kann nicht mehr nach Hause und muss fliehen. «Ich tauchte zuerst in Aleppo bei einer Bekannten unter.» Denn zu d ­ iesem Zeitpunkt waren alle der Meinung,

dass die Unruhen bald vorüber sein werden. Als das Geld knapp wird, flieht sie zu ihrer Schwester in die Türkei. In einem Dorf auf dem Land hilft sie Hielal, eine Stelle als Putzfrau zu finden. «Ich wollte schnellstmöglich Geld verdienen,

um nach Westeuropa weiterzuziehen», sagt sie. Bevor sie drei Jahre später in einen Schlepper-Lastwagen in Richtung Serbien steigt, schenkt ihre Schwester ihr eine Kette mit einem aus Draht umwickelten Achatstein. Sie trägt sie noch heute.

Zusammen mit 11 Männern und drei Frauen besucht sie von Februar bis April dieses Jahres den Kurs in Bern; lernt zuerst sogenannte Front-End- und dann Back-EndProgrammierungen – also was der Benutzer wahrnehmen kann und den unsichtbaren Hintergrund der Programme: Gegen Ende, als sie gleichzeitig noch einen Praktikumsplatz suchen muss, sei es sehr streng geworden, sagt Hielal. Seit Mai absolviert sie nun für sechs Monate ein Praktikum in der Web-Agentur Liip AG in der Berner Altstadt. Jeden Morgen besucht sie einen Deutschkurs, mittags geht sie in die Firma: Derzeit versucht sie eine Website über ihr Hobby Inlineskating so anzupassen, dass sie auf dem Mobiltelefon und dem iPad ebenfalls gut lesbar ist. Patrick, der sie von der Agentur für dieses Projekt unterstützt, ist zufrieden. Via Team-Chat schreibt er zu ihrer letzten Codierung: «Sehr schön.» Besonders motiviert Hielal, dass sie zum Abschluss des Praktikums das Projekt eines Kunden von Beginn weg ­betreuen darf. Noch ist offen, wie es danach weitergeht. Gerne würde sie eine verkürzte IT-Lehre machen. Doch als Flüchtling mit Status N braucht sie dazu eine besondere Bewilligung. Klar ist, dass das «Power­ coders»-Programm ihre «silberne Chance» ist – eine arabische Redensart für eine unverhoffte Möglichkeit, die man packen soll.

Schlagzeiten

«Man versteht schnell, dass das Herstellen von Jogurt & Co. ohne technische Hilfsmittel kein immer steigemeisselter Vorgang ist.»

«Sein Kirchenaustritt als Achtzehnjähriger begründet er damit, dass Religion in der Familie kein grosses Thema gewesen sei.»

Obacht! Knackjoghurt in unserer Lieblingsskriptüre SonntagsZeitung.

Akkusativ aufladen, liebes September-«reformiert».

«Wenn die Lufthansa den ­bisherigen Zweiten, Air Berlin, übernehme, könne sie ihren Marktanteil bei Inlandflügen auf 95 von 68 Prozent ausbauen.» Behalte 3. © «Solothurner Zeitung».

«Sie böten einen Service, den die Stadt Bern nichts koste.» Freilich: Akku auf-, nicht überladen, lieber «Bund».

«Ein Bubendstreich mit bösen Folgen» Vorher war aber der Bubanfangstreich. Aus der «Basler Zeitung» – Und:

«Schwere Sicherheitdsbedenken» Invasion der d-Aliens (2/2): «Neue Zürcher Zeitung» vom Donnerstdag.

«Müller hatte sich am Samstag nach dem 1:0 gegen Augsburg beim Tor ein Knie im Kreuzband gerissen.» Challenge für Orthopäden. Aus den «Schaffhauser Nachrichten» vom Mittwoch.

«Kamerazubehör» Vermutlich japanisch? © «Südostschweiz»

«Die touristische Hemmungslosigkeit erstreckt auch auf ­Altertümer und Museen.» Ärgern Sie darüber? Aus dem «Tages-Anzeiger».

«Zwei Herzinfarkte erleiden Chuck Norris» Die Ärmsten! Schlagzeile im «Blick am Abend» vom Freitag.

«11 Jahre Haft für Paketbombe?» Einmal entschärfen wär billiger. Titel in der «Solothurner Zeitung». [email protected]

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