BRASILIEN

Angriff und Widerstand in den Favelas von Rio de Janeiro Die WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 bewirken schon jetzt die gewalttätige Verdrängung von Menschen aus den Unterklassenquartieren in die abgelegene und extrem arme Peripherie der Stadt. Die Regierenden von «links» bis rechts setzen dabei auf die Militarisierung der Favelas. Dagegen formiert sich Widerstand, der vielleicht morgen schon nicht mehr totgeschwiegen werden kann. Ein Gespräch mit zwei AktivistInnen des Widerstandes. Eva Danzl und Dieter Drüssel befragen María Lucia de Pontes und Mauricio Campos dos Santos

Maria Lucía, du arbeitest in der «Defensoria Pública», also als staatliche Verteidigerin für Mittellose. In dieser Eigenschaft kämpfst du in Rio de Janeiro gegen eine anrollende Welle von Häuserräumungen. Worum geht es da?

erschliesser. [A.d.R.: «Favela» bezeichent eine «wilde» Armutssiedlung, während «Comunidad» darüber hinaus auch legal entstandene Wohngebiete der Unterklassen meint, die unter anderem über einen besseren Anschluss an die Wasserinfrastruktur etc. verfügn. In der Praxis ist oft das Gleiche gemeint.] Es handelt sich um dicht besiedelte Gegenden, auf denen die Stadtentwickler jetzt Kondominien für die Mittelklassen bauen wollen. Comunidades

Favelas des Complexo do Alemão ML: In Rio de Janeiro gibt es eine Bevölkerung, die vor 50 Jahren etwa angefangen hat, sich in der Umgebung der Lagune anzusiedeln. Es waren mehrheitlich Fischer und die Gegenden lagen damals brach. Das Kapital hatte kein Interesse an ihnen. Aber mit dem Wachstum der Stadt geraten heute auch diese Zonen in den Profitblick. Ich muss auch sagen, dass es in den 60er Jahren in Rio einen sehr starken Kampf gegen eine Welle von Räumungen gegeben hat mit dem Ergebnis von Gesetzen, welche die Comunidades gegen Räumungen schützen. Die Verfassungen der 60-er und 80er Jahren respektierten diesen Schutz und 2001 wurde ein Gesetz verabschiedet, das den Comunidades das «Bürgerrecht» gibt, mehr Demokratie. Dies auf dem Papier. Doch wie gesagt, diese Favelas sind jetzt interessant geworden für die Stadt-

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Favela da Restinga: «Auch Arme haben Rechte« in der Nähe von Bahnhöfen usw., im Gebiet der Stadtlagune. Es gibt eine grosse Reihe von solchen Projekten im Rahmen des PAC (Programa de Aceleração do Crescimento, Programm zur Wachstumsbeschleunigung). Für die WM 2014 und die Olympiade 2016 hat die Regierung Lula auch das Projekt des BRT, Bus Rapid Transit, in den PAC aufgenommen. Das sind Stadt-Autobahnen, die für den öffentlichen Busverkehr gebaut werden. In Rio geht dieser BRT quer durch den ganzen Süden der Stadt, wo die Lagune liegt. Alle diese Projekte zielen darauf ab, den Leuten ihren Wohnraum zu nehmen.

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Ohne ihnen eine Alternative anzubieten oder sie zu entschädigen? ML: Minimale Entschädigungen, die nirgends hin reichen. Und wer betreibt diesen PAC, dieses Wachstumsbeschleunigungsprogramm? ML: Die drei Regierungen auf Bundes-, gliedstaatlicher und kommunaler Ebene. Wie gesagt, das Gesetz verbietet eine Räumung einfach so. Deshalb wird irgendein Vorwand gesucht. Dabei kommt es zu massiver Polizeigewalt, aber das Fernsehen berichtet nie darüber. Im Jahr 2007 haben wir, einige VerteidigerInnen für Mittellose, angefangen, diese Leute zu verteidigen. Wir halten die Anklage, die öffentliche Kritik für sehr wichtig, und dass die Favelas sich organisieren und untereinander absprechen. Sie haben damit angefangen, die Idee ist eine Basisbewegung, die gemeinsam auftritt. Vereinzelt hat man keine Chance. Auch die Sozialpastoral hat sich eingesetzt. Und die Linksparteien? ML: Glänzen mit Abwesenheit. 2007 also haben wir angefangen und seither die Arbeit intensiviert. Denn wir hatten die Einschätzung, dass die WM und die Olympiade eine weitere Verschärfung bringen würden, was sich jetzt bestätigt. Wir hatten ja schon einschlägige Erfahrungen bei den Panamerikanischen Spielen gemacht. Wir gingen vor Gericht, die Leute machten Demos. Anders ist eh nichts zu holen. Die Bevölkerung muss organisiert sein. Das ist alles schwierig, denn die Medien berichten strikt nichts und die Gerichte antworten auch nicht. Denn für sie sind diese Siedlungen illegal und geniessen keinen Schutz. Egal, dass die Leute schon seit 50 Jahren dort leben! Faktisch wird die Armut kriminalisiert, der Arme ist kriminell. Und das «legitimiert» die militärische Besetzung der Favelas, die Zerstörung der Wohnungen … Dieser Räumungsprozess hat also schon angefangen… ML: Ja, in einigen Favelas. Sie fangen an, wir gehen vor Gericht, aber in der Zwischenzeit haben sie schon 10, 15, 20 Häuser zerstört. Nicht unbekannt, diese Logik ... ML: Und dagegen setzen wir auf die Kraft der kollektiven Mobilisierung. Und wie läuft die? Ist das ein Projekt von euch, den VerteidigerInnen, der Pastoral? Wie sieht es mit den Leuten aus den Comunidades aus?

ML: Oh, da gibt es jede Woche ein Treffen in einer Comunidad, zu dem auch die Leute aus den anderen Comunidades kommen. Da diskutieren wir alles, die Probleme. Etwa dies: Die Regierung bietet den Leuten etwas Geld fürs Ausziehen, sehr wenig zwar, aber sie sagen: «Du hast sowieso keine andere Option». Das ist Erpressung. Bis wir dann vor Ort sind, sind die Leute oft schon weg und ihre Häuser zerstört. Wie die Frau in eurem Video. Sie sagt, sie habe nicht weg gewollt, aber halt doch «eingewilligt» und jetzt lebt sie 40 Meilen weiter weg. Theoretisch, von Verfassung und Gesetz her, haben die Leute zwar Rechte, in der Praxis aber nicht. ML: Die bekommst du nur mit Einheit und Organisierung. Das hängt auch nicht von uns engagierten VerteidigerInnen ab; wir sind jetzt fünf. Zentral ist die Organisierung in den 132 bedrohten Favelas. Wie viele Leute sind das? ML: Im Schnitt sind es pro Comunidad etwa 500 Familien, mit je 5 -7 Mitgliedern. Wie läuft so eine Räumung ab, wird dann die ganze Comunidad flach gemacht oder werden nur einige Häuser abgerissen? ML: Die Räumungen erfolgen scheibenweise. Ich gehe davon aus, dass wir von vielen gar nie erfahren, weil wir keinen direkten Kontakt zu den Leuten haben. Es gibt natürlich auch viel Unsicherheit, Angst. Das zeigt sich an den Treffen. Von einer Comunidad nach der anderen kommen solche Bekundungen. Bisher ist in vielleicht 50 Comunidades schon geräumt worden, und ungefähr 20 gibt es nicht mehr. Ihr befindet euch also in einem Rennen mit der Zeit. Eure Devise ist: Organisierung. Doch wofür, um was zu machen? ML: Für eine Massenmobilisierung. Wir kämpfen gegen sehr starke Wirtschaftsinteressen an. Es braucht eine grosse, starke Mobilisierung. Natürlich, wir ziehen die ganze Zeit vor Gericht und holen da auch kleine Erfolge raus, aber das reicht nirgends hin. Es braucht eine Massenmobilisierung. Dann berichten auch die Medien, es wird Thema, es gibt Solidarität und auch die Gerichte werden anfangen zuzuhören. Sonst sind wir einfach «ein paar Verrückte», die gegen die Spiele sind. Hier habe ich eine ausländische Solidaritätserklärung von letztem Jahr mit einer bedrohten Comunidad. Das hat die Gegenseite aufgescheucht. Der Gouverneur schrieb unserem Chef einen Brief wegen uns.

Und wie hat der Chef reagiert? ML: Er hat seine Stelle aufgegeben. Aber wichtiger ist, wie so eine internationale Kritik einfährt. Ich mach mir keine Illusionen über die Gerichte. Ohne Mobilisierungsdruck kommen wir da nicht durch. Und, gibt es eine realistische Chance für so eine Mobilisierung? Oh ja. Nehmen wir das Beispiel der Comunidad, der die Solidaritätsadresse galt. Sie kämpft seit 1987 für ihre Rechte und hat sich erfolgreich gegen die «Aufräumoffensive» bei den Panamerikanischen Spielen gewehrt. Hier ist die Organisierung sehr stark. Das kann ansteckend wirken. Habt ihr mit südafrikanischen Organisationen Kontakt, die ja kürzlich einschlägige WM-Erfahrungen machen mussten? ML: Nur indirekt. Wenn ihr welchen habt, gebt ihn uns bitte durch. Die Regierenden reden von alternativen Wohnungsprojekten, vom Leben im Grünen … aber in den Favelas glauben sie ihnen nicht. Die Leute wollen handfeste Belege sehen. Denn oft ist es ja anders: Sie rauben dir die Loge und danach bekommst

löhnen. Sie werden ganz im Westen der Stadt angesiedelt. Das ist der unerschlossenste Teil der Stadt, eine völlige Armutszone. Wie weit weg vom Zentrum ist das? MC: Nun, weisst du, dazwischen liegen auch Berge. Mit dem Bus sind es 2-4 Stunden. Für eine Strecke?! MC: Ja. Und wenn die Leute einen Job im Zentrum haben, geht schon ein grosser Teil des Lohnes für den Fahrpreis drauf. Oder die Leute übernachten im Zentrum, auf der Strasse… So funktioniert also einer dieser viel gerühmten Sozialprogramme von Lula! ML: So ist es. Und was mich bei diesem Programm auch sehr beschäftigt, ist Folgendes: In ihren Favelas führen die Leute ein Gemeinschaftsleben. Da sind die Freunde, die Nachbarn, die Angehörigen, das ganze vibrierende Beziehungsgeflecht … «Minha casa – Minha vida» zerstreut die Leute, zerstört ihr Beziehungsnetz.

Comunidade da Fazendinha: «Aber die Polizei macht ihre Operationen, wenn die Kinder zur Schule oder die Leute zur Arbeit gehen.» du gar keinen Ersatz zu sehen. Und dann gibt es auch das Programm «Minha casa – Minha vida» (Mein Haus – Mein Leben), von Lula, von der Partei PT. Ein Betrug. Du hast vor dreissig Jahren dein Haus zu bauen angefangen hat und immer wieder was daran gemacht. Und jetzt musst du für eine andere, sehr kleine Wohnung bezahlen, die dich nicht interessiert. In Tat und Wahrheit dient dieses Programm dazu, die Bauunternehmen zu finanzieren. MC: Fast das ganze Programm «Minha casa – Minha vida» ist für Leute mit Tiefsteinkommen, bis zu maximal drei Mindest-

Das Prinzip «New Orleans»… MC: Genau. Wichtig ist auch: Alle Räumungen finden in Gebieten statt, die an wohlhabende Zonen angrenzen. Vor einigen Monaten habe ich einen anderen brasilianischen Genossen interviewt, der mit Blick auf die Spiele gemeint hat, erstens würden sie mehr Arbeitsplätze und zweitens damit verbunden eine Stärkung der ArbeiterInnenkämpfe gegen Kapital und Regierung bringen. Gibt es von Seiten der Gewerkschaften ein Interesse an euren Kämpfen gegen die Räumungen?

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ML: Zu sagen ist, dass diese «WM-Jobs» temporär sein werden. Und Interesse seitens der Gewerkschaften – nein. Die agieren ja meist auch auf einer Pro-Regierungslinie. MC: Es gibt eine Studie über die mutmasslichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Spiele, die von der Regierung in Auftrag gegeben und von Bauunternehmen durchgeführt worden ist. Sie zählt die NGOs und Gewerkschaften und ihnen angeschlossene Gruppen zu den Sanierungsgewinnern. Wie das? MC: Wir haben diese Studie nur zufällig entdeckt. Sie beschreibt das Schema von Verträgen der Regierung und Grossunternehmen mit NGOs und sogar Gewerkschaften. Es ist darin schon vorgesehen, dass Organisationen, die sich am Widerstand be-

Mauricio, lass uns jetzt noch von eurem anderem Thema reden. Was ist das Netzwerk gegen die Gewalt? MC: Das «Netz der Comunidades und Bewegungen gegen die Gewalt» ( Rede de Comunidades e Movimentos contra a Violência) ist eine Basisbewegung. Es ist 2003 entstanden, im Kontext von wichtigen Mobilisierungen in den Favelas gegen die Gewalt der Polizei, danach auch der Streitkräfte, in den Comunidades. Das ist ein alter Kampf in Brasilien, der aber in jener Zeit sehr intensiv geführt wurde. Es geht gegen Exekutionen, illegales Eindringen in die Wohnungen etc. Die meisten von uns sind Leute aus den Favelas selber, entweder direkte Opfer der Gewalt oder Angehörige. In eurem Video sind ja auch Mütterkomitees zu sehen, die für Gerechtigkeit und

Favela Vila Cruzeiro, November 2010: Nach einem Einsatz der Polizeispezialeinheit Bope. Foto: Carlos Trindade teiligen könnten, so eingebunden werden. Bei den Gewerkschaften soll das wohl über Verheissungen von neuen Jobs, Lohnerhöhungen und ähnlichem laufen. Und bei den NGOs? MC: Bei den Panamerikanischen Spielen sind mehrere NGOs für die Verwaltung von Aktivitäten einbezogen worden, für touristische Dinge, Führungen, Verkehrsdienstleistungen usw. Die NGOs haben bei den Panamerikanischen Spielen allein in den beiden Favelas Alemão und Vila Cruzeiro 200 junge Leute für solche Dienste angeheuert. Von diesen 200 sind weniger als 20 noch angestellt. Aber für die NGOs bedeuteten diese Aufträge schöne Einkünfte.

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Aufklärung der Morde an ihren Kindern kämpfen. Das ist sehr eindrücklich. Nun, das Bild in den Medien hier ist eher: In den Favelas herrschen Drogenbanden und der Staat nimmt mit ihnen einen Kampf auf Leben und Tod auf. Und setzt dabei auch das Militär ein, wie letzten Dezember. MC: Der Drogenhandel in den Favelas ist nur die Spitze des Eisberges. Der ganze Deal ist viel grösser, gut strukturiert und bestens eingebettet. An ihm beteiligen sich Polizisten, Bundespolizisten, Militärs, führende StaatsfunktionärInnen, Kapitalgruppen, die internationalen Banken – z.B. die schweizerischen. Ohne das würde der Drogenhandel gar nicht funktionieren. Er ist folglich weder auf die Favelas beschränkt noch hat

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er dort seinen Ursprung. Die Drogen, die Kriegswaffen – all das kommt von aussen, von der SIG z.B., aus Deutschland ... ein tatsächlicher Kampf gegen den Drogenhandel müsste das einbeziehen und gegen die Korruption angehen, die Beteiligung grosser Staatsbetriebe etc. Aber der Kampf wird stattdessen einzig auf die Favela fokussiert, auf das Symptom, nicht die Struktur. Er ist schlicht ein Vorwand für mehr Repression gegen die arme Bevölkerung. Das muss als erstes gesagt sein. Zweitens ist einfach nicht wahr, dass die Banden in den Favelas über eine grosse militärische Macht verfügen und den Staat herausfordern, gar eventuell in die Knie zwingen können. Nein, nein ... das ist reine Propaganda. In einigen Favelas ist es zum Einsatz der UPPs gekommen [UPP: Unidade de Polícia Pacificadora, Einheit der Befriedungspolizei, s.u.] Nicht in einer dieser Favelas haben die Banden «militärischen» Widerstand geleistet. Sie flüchten. Oft übrigens unter Mithilfe der Polizei. Ähnliches kennen wir aus El Salvador. Aber sag, wie ist die Gewalt in den Favelas im Alltag, nicht, wenn sie militärisch besetzt werden? MC: Die Narcos haben Kämpfe untereinander, wo es um Verkaufszonen geht. Mit oder ohne Beteiligung von Polizisten. Die sind blutig, es gibt bei einer solchen Konfrontation 20 bis 30 Verluste. Unter ihnen, hauptsächlich. Auch BewohnerInnen werden in Mitleidenschaft gezogen, aber viel weniger, als dies bei Polizeiaktionen in den Favelas der Fall ist. Die Polizei geht mit sehr viel weniger Rücksicht auf die Bevölkerung vor als die Dealer. ML: In den Favelas rufen die Drogenbanden, bevor es zu einem solchem Kampf kommt: «casa, casa, casa». Dann wissen alle, dass man sich verziehen muss. Aber die Polizei macht ihre Operationen, wenn die Kinder zur Schule oder die Leute zur Arbeit gehen. Dann beginnt urplötzlich eine wilde Schiesserei. MC: 2007 kam es zu 1300 von der Polizei verursachten Todesfällen im Staat von Rio, auf eine Gesamtbevölkerung von 13 Millionen. Das sind 3-4 solcher Morde pro Tag. Und das nach den offiziellen Angaben der Polizei. Da waren nicht inbegriffen die Verletzten, die Verschwundenen, jene, die von Polizisten ausserhalb des Dienstes ermordet wurden. In ganz Brasilien gibt es fast 50’000 Morde im Jahr. Diese Zahlen gehen in letzter Zeit zurück. Jetzt dürften es noch etwa 800 Polizeimorde im Jahr sein.

Wie erklärt sich das? MC: Dafür gibt es viele Erklärungsansätze. Einer ist, dass in Folge des Wirtschaftswachstums manche Jugendlichen einen Job bekamen und nicht mehr im Narco drin sind. Ein anderer hat mit der Politik von Cabral zu tun [Sergio Cabral, Gouverneur von Rio, von der mit dem PT liierten Partei PMDB]. 2006, zu Beginn seiner Amtszeit, lancierte er eine extrem aggressive, konfrontative Linie mit sehr gewalttätigen Operationen in den Favelas mit vielen Toten und Verletzten. Jetzt ernte man die Früchte dieses entschlossenen Vorgehens. Aber die Sache war anders. Tatsächlich hat damit die Gewalt zugenommen. In der Südzone der Stadt hatte es während vieler Jahre keine Kämpfe mehr gegeben, auch nicht in den Favelas. Aber mit der Politik von Cabral kam es zu einem Ungleichgewicht zwischen den Narcos, was diese unter anderem damit auszugleichen versuchten, dass sie ihre Kämpfe wieder auf jene Zonen ausdehnten. Die BewohnerInnen von Copacabana zum Beispiel, die lange keine Schüsse mehr gehört hatten, mussten sich wieder damit auseinandersetzen. In Coacabana habe ich in der Nacht die Leuchtspuren der Schüsse über den Dächern gesehen, als sie sich aus anderen Zonen gegenseitig beschossen.

Erschliessungspläne gibt, konnte sie ohne weiteres die UPP schicken. Etwas anders steht es mit dem Complexo do Alemão und dem Complexo da Penha, zwei Gebieten mit mehreren Favelas, die nicht unmittelbar erschlossen werden und trotzdem eine UPP erhalten sollen. Hier haben sich Paramilitärs, Ex-Polizisten u.a. breit gemacht. Mit der Folge, dass viele Jugendliche, die als Soldaten der Dealer gearbeitet hatten, arbeitslos wurden, keine Funktion mehr hatten. Aber sie hatten ihre Waffen behalten. Jetzt machten sie Überfälle auf den grossen Verkehrsachsen. Sie blieben nicht mehr in ihren Favelas, sondern begannen, die «anständigen Bürger», Autobesitzer, anzugreifen. Hier wird es meiner Meinung nach eine ähnliche UPP geben wie in Cidade De Deus. Die Mannschaftsstärke der UPPs im Süden

Ein kontraproduktives Resultat? MC: Ja, die Regierung begann dann, ihre Linie ein wenig zu ändern. Es begann die Phase der UPP, dieser Spezialbataillone der Militärpolizei. Wir haben zwei Arten von Polizeien – die zivile, die für die Untersuchungen zuständig ist, und die militärische für Ruhe und Ordnung generell. Diese UPP sind fest in den Comunidades stationiert. Das begann 2008, als die Politik der totalen Konfrontation scheiterte. Die ersten UPPs gab es in Santa Marta und in anderen Favelas, die alle im Süden der Stadt liegen. Das ist wichtig. Sämtliche Zonen, wo die UPP eingesetzt werden oder wo sie geplant sind, liegen im Süden, in einem relativ kleinen Gebiet. Sein Merkmal: Es grenzt an Geschäftszonen an. Im grossen Westen und Norden der Stadt, riesigen Armutszonen, wo die Gewalt viel verbreiteter ist als im Süden, gibt es nicht eine UPP und ist auch keine geplant. Nehmen wir Santa Cruz, eine Comunidad, die Ende letzten Jahres auch militarisiert worden ist! Hier gab es seit langem wilde Schiessereien, Autos wurden angezündet, die Autobusse zirkulierten nicht mehr, die Kinder gingen nicht mehr in die Schule. Aber die Regierung sagte stets: Da können wir nichts machen. Doch jetzt, wo es die

der Stadt steht in einem bestimmten, relativ hohen Verhältnis zur Bevölkerungshöhe. In Cidade de Deus ist sie halb so hoch. Und es gibt auch schon Aussagen, etwa von Leuten der Pastoral, dass sich dort die UPP und und die Narcos das Territorium aufgeteilt und entsprechende Abmachungen getroffen haben. Lässt du mich in Ruhe, lass ich dich in Ruhe. Ich denke, in Alemáo und Penha wird es eine solche UPP geben, anders als im Süden, wo die Comunidades an an Geschäftszonen angrenzen und erschlossen werden sollen. Du sagst also, die Regierungskräfte intervenieren, um die «ungebührlichen» Ausfälle der Bewaffneten zu stoppen. Ist das erreicht, lassen sie die Dinge schleifen? Arrangieren sich und teilen sich das Geschäft. Ist das richtig? MC: Ja.

munidades hinein, aber auch zu anderen Städten. Habt ihr Unterstützung von anderen Kräften, wie dies im Fall des Kampfs gegen die Räumungen bei der Pastoral der Fall ist? In diesem Kampf gegen die Polizeigewalt ist die Kirche wenig präsent. Aber wir haben Allianzen mit dem Menschenrechtskern der öffentlichen VerteidigerInnen, einer oder zwei Personen aus der Staatsanwaltschaft und einigen Menschenrechts-NGOs. Wichtig ist die Verbindung mit der Bewegung «Tortura nunca mais» (Nie wieder Folter). Das sind Opfer von Folter unter der Militärdiktatur oder Angehörige. Wir haben einen grossen Respekt für sie und sie respektieren uns. Wir arbeiten sehr eng zusammen. Der PT, der ja immerhin einen linken Ursprung hat, rührt keinen Finger? Doch, aber gegen uns. Cabral steht für die PT-Politik. Er gilt als ein zukünftiger Präsidentschaftsanwärter für die PT-Allianz. Und das MST? MC: Mit ihnen arbeiten wir an öffentlichen Veranstaltungen oder Demos zusammen. Aber nicht im Alltag.

Carlos Latuff, Brasilien 2009

Im Netz gegen die Gewalt seid ihr wie viele? MC: HauptaktivistInnen sind wir 30-40 Leute. Aber es gibt sehr viele BewohnerInnen der Favelas und Angehörige von Opfern, die in der einen oder anderen Weise engagiert sind. Als Sozialbewegung haben wir, anders als eine NGO, keine formalen Strukturen. Wir haben Kontakte in alle Co-

Es gibt keine Gesamtkoordination der sozialen Bewegungen? MC: Nein. Was es gibt, sind Kontakte unter vielen von uns. Und die meisten vom Netz arbeiten in der einen oder anderen Form bei den «Conselhos Populares» (Volksräten) mit, sei es als Militante oder auch, wie in meinem Fall – ich bin Ingenieur – als technische Berater. Von einer Koordination können wir noch nicht reden. ML: Die «Conselhos Populares» sind eine Initiative von BewohnerInnen der Comunidades. Hier schliessen sich die Aktiven der Comunidad zusammen mit der Perspektive, die Organisierung in der Gegend zu verstärken. Ich habe den Eindruck, dass eure Kämpfe – sowohl gegen die Räumungen wie gegen den Polizeiterror – zwar von den direkt Betroffenen getragen werden, aber ansonsten ziemlich einsam in der Gegend stehen. In dem Sinne, dass es keine grosse Linke gibt, die sagen würde: Das sind unsere Kämpfe. Und es gibt auch keine halbwegs einflussreichen Medien, die das aufgreifen? Dramatisch! ML: Ja, aber nicht weniger nötig. Und wir kommen vorwärts.

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